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Die Geschichte des Zentralstadions

Seit 1956 hat Leipzig mit dem Zentralstadion einen Fußballtempel, der seit jeher Schauplatz unzähliger legendärer Partien und gleichzeitiges Symbol der politischen und sporthistorischen Umwälzungen in Leipzig gewesen ist. Doch die meisten Jahre des sagenumwobenen früheren »Stadion der Hunderttausend« vor der Gründung von Rasenballsport sind nur wenigen Anhänger*innen unseres Vereins bekannt. Höchste Zeit also, das zu ändern:

 

Erste Planungen

Bevor das Leipziger Zentralstadion mit der Partie SC Wismut Karl-Marx-Stadt gegen Honvéd Budapest (1:3) am 4. August 1956 eröffnet wurde, gab es schon über Jahrzehnte Pläne für die Verwendung des Geländes auf den »Frankfurter Wiesen«. Erstmals in den 1920er Jahren begannen ernsthafte Bestrebungen, am Ort des heutigen Stadions und der umliegenden Fläche eine Sportstätte zu errichten. Diese Konzepte gelangten jedoch zu keiner Umsetzung, sodass das Gelände in den folgenden Jahren mehr oder weniger brach lag, um während der Herrschaft der Nationalsozialisten als Platz für Aufmärsche oder Militärparaden dienen und den Namen »Adolf-Hitler-Feld« zu erhalten.

1939 schlug Werner March, ein treuer NSDAP-Anhänger und Architekt, welcher bereits einige Jahre zuvor die Errichtung des Berliner Olympiastadions leitete (weswegen auch heute noch aus unerfindlichen Gründen eine Gedenktafel dort an ihn erinnert), die Realisierung eines Sportkomplexes mit Stadion vor, welches den Namen »Adolf-Hitler-Stadion« tragen sollte. Der Überfall auf Polen und der damit verbundene Beginn des Zweiten Weltkriegs kurze Zeit später verhinderte abermals eine Verwirklichung der Pläne.

 

Vorgeschichte des Cottaweges

In den folgenden Jahren zeigte der verbrecherische Angriffskrieg der Nationalsozialisten auch Auswirkungen in unmittelbarer Nähe zum heutigen Zentralstadion – in Form von Kriegsgefangenenlagern am Ort des heutigen Trainingsgeländes am Cottaweg. Schon ab 1892 wurde dort fleißig Sport getrieben, zuerst in Form von Radrennen. Die eigens dafür errichtete Rennbahn wurde im Volksmund „Lindenauer Zement“ gennant, doch auch andere Sportarten ließen nicht lange auf sich warten. So trug der VfB Leipzig dort etwa von 1897 bis zum Umzug nach Probstheida 1922 seine Heimspiele aus. In dieser Zeit gewann er unter anderem neunmal die Mitteldeutsche Meisterschaft und dreimal den gesamtdeutschen Meistertitel. Nicht zuletzt fand am 17. November 1912 das allererste Spiel der Deutschen Fußballnationalmannschaft gegen die Niederlanden (2:3) auf dem Rasen des »Sportplatz Leipzig« statt. Nach 1920 umfasste das Areal um den Cottaweg sogar sechs Fußball- und weitere sechs Hockeyfelder sowie sechszehn Tennisplätze.

1938 jedoch wurde der gesamte Komplex abgetragen, um Platz für die »Gutenberg-Reichsausstellung« zur Feier von 500 Jahren Buchdruckkunst zu schaffen, welche aber wegen des Kriegsbeginns nie stattfand. Während des Krieges befand sich dann neben dem Barackenlager »Neuer Meßplatz« mit dem Städtischen Kriegsgefangenenlager II (L230) eines der größten Kriegsgefangenenlager am Cottaweg, wo die Inhaftierten in Baracken interniert und zur Arbeit für Stadtverwaltung Leipzig und das Tiefbauamt verpflichtet wurden. Insgesamt soll es insgesamt drei Lager auf dem Terrain am Cottaweg gegeben haben, welche nacheinander errichtet worden sind. Die meisten Akten zu diesem Thema wurden allerdings vernichtet.

 

Errichtung des »Stadion der Hunderttausend«

Nach dem Ende des Krieges machte sich die DDR-Regierung zeitnah daran, das Projekt Sportforum in der Leipziger Innenstadt endlich in die Tat umzusetzen. So sollte, festgesetzt durch einen Beschluss des Ministerrates von 1948, das Stadion ursprünglich etwa 50.000 Zuschauer*innen Platz bieten. Doch Leipzig, das sich selbst als Sporthauptstadt der DDR verstand, gab sich damit noch lange nicht zufrieden. Ein mindestens doppelt so großes Stadion schien den Messestädter*innen sehr viel angemessener, sodass der Architekt Karl Souradny im März 1955 damit beauftragt wurde, das »Stadion der Hunderttausend« zu errichten.

Bereits einige Jahre zuvor wurde auf dem Gelände des heutigen Zentralstadions schon fleißig Sport getrieben. Vornehmlich aus Trümmerschutt gefertigt, konnte bereits 1952 das Schwimmstadion eröffnet werden, wovon heute nur noch die bereits halb verfallende Nordtribüne zeugt. Außerdem fand 1954 auf der Festwiese das »1. Turn- und Sportfest der DDR« mit über 70.000 Besucher*innen statt.

Auch der Stadionwall, welcher heute eine fantastische Aussicht auf das Innere der Schüssel gewährt, ist auf mehr als 1,5 Millionen Kubikmetern Kriegsschutt errichtet. Der Zeitplan für den Bau des Fußballtempels war überdies eigentlich kaum realisierbar. Schon im Rahmen des zweiten DDR-Turnfestes sollte die Einweihung gefeiert werden. Doch Schüler*innen, Soldaten, freiwillige Arbeiter*innen und Studierende packten mit an, sodass das Zentralstadion nach nur fünfzehn Monaten Bauzeit tatsächlich pünktlich fertiggestellt werden konnte. Ende Juli 1956 erhielt außerdem noch der für unser Fanzine namensgebende Werner-Seelenbinder-Turm mit gleichnamiger Glocke seine feierliche Einweihung.

 

Höhepunkte während der DDR-Zeit

Nach dem Eröffnungsspiel am 4. August 1956 ist hier im Zentralstadion noch so manch andere legendäre Begegnung ausgefochten worden, wie etwa am 8. September 1956 das Derby zwischen dem SC Rotation Leipzig und dem SC Lokomotive Leipzig (1:2), wobei mit 100.000 Zuschauer*innen der bis heute gültige Zuschauerrekord für ein Erstligaspiel aufgestellt wurde. Teil der Geschichtsbücher sind außerdem das knapp einen Monat später ausgetragene Freundschaftsspiel zwischen dem SC Wismut Karl-Marx-Stadt und 1. FC Kaiserslautern (3:5), in dessen Verlauf Fritz Walter sein bis heute weltberühmtes Jahrhunderttor erzielte.

Hinzu kamen Begegnungen wie das erste Länderspiel der DDR im Zentralstadion vor einer Kulisse von 105.000 Menschen im Rahmen der WM-Qualifikation gegen Wales (2:1) am 19. Mai 1957 oder auch der Publikumsrekord von 110.000 Menschen beim Spiel der DDR gegen die Tschechoslowakei (1:4) am 27. Oktober 1957.

In der 70er-Jahren erlebte das zentrale Rund dann unter anderem Renate Stechers Weltrekord über 100m, die 1973 mit einer Zeit von 10,9 Sekunden als erste Frau unter 11 Sekunden lief, die erste Qualifikation der DDR-Nationalmannschaft für eine WM-Endrunde mit einem 2:0 gegen Rumänien am 26. September 1973 vor 95.000 Zuschauer*innen, aber auch das Leipziger Stadtderby Lok gegen Chemie (3:2) im Jahr 1975 vor 46.000 Zuschauer*innen.

Zuletzt wären außerdem noch die zahlreichen Europapokalbegegnungen im Zentralstadion zu nennen, in deren Rahmen unter anderem Benfica Lissabon, Girondins Bordeaux und zuletzt am 28. Oktober 1988 der SSC Neapel mit ihrem damaligen Spielführer Diego Maradona zu Gast waren. Anschließend dauerte es ganze 10.549 Tage, ehe im Zentralstadion mit dem Spiel Rasenballs gegen AS Monaco (1:1) am 13. September 2017 wieder ein Spiel auf europäischer Pokalebene ausgetragen wurde.

Ursprünglich sollte das zentrale Rund auch einer Art »Wiedervereinigungsbegegnung« zwischen den Nationalmannschaften von DDR und BRD Mitte November 1990 als Spielstätte dienen, welches jedoch nach dem Tod des Dynamo-Berlin-Fans Mike Polley, der im Kugelhagel der Polizei nach Ausschreitungen im Rahmen des Spiels gegen FC Sachsen Leipzig wenige Tage zuvor tödlich getroffen wurde, aus Angst vor Ausschreitungen abgesagt wurde.

 

Modernisierung für die WM 2006

Nachdem von 1992–1995 der VfB Leipzig seine Partien im Zentralstadion austrug, wobei aber nur noch 37.000 Plätze genutzt werden konnten, da die restlichen Tribünen bereits zu marode waren, beschloss die Stadt Leipzig im Jahr 2000 den Umbau der legendären Schüssel zu einer modernen Arena. Dafür wendeten die Bundesrepublik, Stadioneigentümer Michael Kölmel und die Stadt Leipzig insgesamt 114 Millionen Euro auf.

Am 7. März 2004 konnte das Zentralstadion dann mit der Partie FC Sachsen Leipzig gegen Borussia Dortmund II (0:1) vor gut 12.000 Zuschauer*innen seine Wiedereröffnung feiern. Im November desselben Jahres gastierte im Rahmen eines Freundschaftsspiels gegen Kamerun (3:0) dann auch erstmals die bundesdeutsche Nationalmannschaft in Leipzig.

Nachdem das Zentralstadion 2005 im Zuge des Confed-Cups und 2006 für die WM als Spielstätte fungierte, wurden die mittlerweile auf gut 44.000 Plätze geschrumpften Tribünen erneut einige Jahre zumindest in fußballtechnischer Hinsicht nicht genutzt. Erst als unser Rasenballsport seine Heimspielstätte im Sommer 2010 vom Stadion am Bad in Markranstädt ins zentrale Rund verlegte und für 30 Jahre die Namensrechte an unseren Hauptsponsor abgetreten wurden, was durch einen Testkick gegen Schalke 04 (1:2) Würdigung erhielt, kam wieder Leben ins ehemalige Stadion der Hunderttausend. 

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Ausblick

Die damit anbrechende jüngere Historie des Zentralstadions zwischen fesselnden Fußballschlachten und zahlreichen Aufstiegen sollte ab diesem Punkt allgemein bekannt sein. Doch die vergangenen Jahrzehnte unseres zentralen Runds mit all ihren Auf und Abs verdeutlichen umso mehr, welche enorme Wichtigkeit unter anderem die Initiative »60plus« aus der aktiven Fanszene hatte, welche zu Beginn der ersten Bundesligasaison 2016 gegen die damaligen Pläne eines Stadionneubaus am Rande Leipzigs mit zahlreichen Aktionen, Spruchbändern und einer großen Choreo mobil machte.  

Fraglich ist dennoch, ob der Plan eines Neubaus durch die Vereinsoffiziellen überhaupt jemals wirklich ernsthaft in Betracht gezogen wurde, sprachen nicht nur Fans und die Stadt Leipzig, sondern auch wirtschaftliche Faktoren dagegen. Nichtsdestotrotz ist es mehr als erfreulich, die Gewissheit zu haben, dass man auch zukünftig den Spieltag außerhalb der wichtigsten 90 Minuten im direkten Stadionumfeld und damit in der Stadt verbringen kann und die hochgeschätzten Traditionsfans der Kumpel- und Malocherstädte der Republik auf dem Weg Richtung Stadion statt des Leipziger Liniennetzplans an der Innenwand eines versifften Shuttlebusses die Schönheit unserer Messestadt bewundern können. 

Schlussendlich bleibt zu sagen, dass es nun an uns liegt, die bewegte und traditionsreiche Geschichte unseres Zentralstadions in gutem Sinne weiterzuführen. 65 Jahre sind eine verdammt lange Zeit, gerade angesichts der erst so kurzen Ära unseres Klubs. Es liegt außerdem auch in unserer Hand, den aktuellen Stadionumbau durch Ideen zu bereichern und wichtige Faninteressen durchzusetzen. Der Ausbau vom Sektor B zu Stehplätzen, der Container für den Fanstand oder der "Rasenballsport Leipzig"-Schriftzug über unserer Fankurve sind dazu wichtige Schritte gewesen. Lasst uns darauf weiter aufbauen um so unserem Stadion eine einzigartige Identität zu geben. 

Im zentralen Rund sind in den vergangenen Jahrzehnten Legenden geboren worden und Helden gefallen. Wir schreiben die Geschichte dieses Fußballtempels als eines der bedeutendsten Wahrzeichen Leipzigs weiter, auf Kurs zu neuen bitteren Niederlagen und grandiosen Triumphen.

 

Avanti Lipsia!

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