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Der Ringer Werner Seelenbinder

43 Meter hoch ist der markante Werner-Seelenbinder-Turm vorm Sektor B – ein Wahrzeichen des Sportforums, Identifikationsmerkmal Rasenballs im Alternativ-Logo und seit über sechzig Jahren ein Ankerpunkt des sich stetig wandelnden Erscheinungsbildes des Stadions. Doch wer war der namensgebende Werner Seelenbinder überhaupt, und wie hat er sich die Würdigung seines Namens an vielen Orten in ganz Deutschland verdient? Eine Spurensuche, die keinen Anspruch auf Vollständigkeit erhebt.

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Werner Seelenbinder wurde am 2. August 1904 in Stettin (heute das polnische Szczecin) geboren. Aufgrund von Schwierigkeiten hinsichtlich seiner beruflicher Perspektive verfolgte der noch junge Werner Seelenbinder seine anfänglich hobbymäßige, sportliche Leidenschaft im Gewichtheben und Ringen immer intensiver. Wenig verwunderlich, dass aus dem bloßen Trainieren in einem Arbeitersportclub in Berlin schnell eine internationale Wettbewerbsteilnahme erwuchs. Bereits 1928 trat Seelenbinder bei der Spartakiade der Roten Sportinternationale (einer Art Sommerfestspiele der UdSSR) an und gewann im Halbschwergewicht Ringen. Hierbei war er der einzige deutsche Arbeitersportler, der sich in seiner Disziplin durchringen konnte.

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Zur selben Zeit begann Werner Seelenbinder, sich politisch zu engagieren und las Werke von Marx und Lenin. Ebenfalls im Jahr 1928 wurde er Mitglied der KPD und gelangte durch seine offen gezeigte politische Haltung schnell in das Blickfeld nationalsozialistischer Kräfte.

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Der Machtübernahme der Nazis im Januar 1933 folgte eine unmittelbare und schonungslose Zerschlagung aller Arbeitersportvereine. Auch der KPD, Seelenbinders Partei, erging es nicht besser: Viele, die sich nicht rechtzeitig in den Untergrund oder ins Ausland absetzten, ereilte eine Verhaftung mit anschließender Verschleppung in die ersten Konzentrationslager.

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Werner Seelenbinder blieb von der systematischen Verfolgung vorerst verschont, engagierte sich abseits der öffentlichen Bühne weiter für seine Überzeugung und arbeitete heimlich für die heute noch existierende Rote Hilfe. Auch auf sportlicher Ebene blieb Seelenbinder nicht untätig und heimste ab 1933 insgesamt sechs deutsche Meistertitel in der Halbschwergewichtsklasse ein.

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Zu internationaler Bekanntheit brachte es Seelenbinder aber nicht nur durch diese sportlichen Höchstleistungen. Es war vielmehr die Art und Weise, wie er seinen Gewinnen huldigte. Oder eben auch auch nicht: Er verweigerte bei der Siegerehrung im August 1933 öffentlichkeitswirksam den Hitlergruß. Ein Schlag ins Gesicht der Nazis und ein Zeichen unbändigen Muts. Für diesen „Affront“ wurde er kurz danach von der Gestapo verhaftet und erhielt zunächst lediglich eine einjährige Wettbewerbssperre.

Durch seine nationalen Erfolge qualifizierte sich der aufstrebende Ringer aber dennoch für die Olympischen Spiele 1938 in Berlin. Spiele, die die Nazis für ihren Größenwahn und eine unfassbare Machtinszenierung nutzen wollten. Doch auch Werner Seelenbinder plante, die weltweite Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen und bei einer möglichen erneuten Siegerehrung mit einem Appell gegen die NS-Diktatur zu protestieren. Diesen Plan schmiedet Seelenbinder mit der inzwischen im Untergrund agierenden KPD.

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Nach unglücklichen Kämpfen gelang Seelenbinder als Viertplatziertem jedoch nicht der Sprung aufs Treppchen, weshalb diese Pläne wieder verworfen werden müssen. Weitere Sportreisen in den Folgejahren nutzte Seelenbinder für den stetigen Austausch mit internationalen Kontakten und für die Verbreitung von Informations- und Propagandamaterial.

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Ab 1939 wurde er im Rüstungsbetrieb Berlin-Marienfelde zwangsverpflichtet. Doch auch hier blieb Seelenbinder nicht untätig und gründete eine illegale Widerstandsgruppe, welche insgesamt drei Jahre Bestand hatte, bis er schließlich im Jahr 1942 aufgrund seiner Tätigkeiten verhaftet wird. Nach über zwei Jahren in verschiedenen Zuchthäusern und Konzentrationslagern verurteilt ihn der Volksgerichtshof in Potsdam am 5. September 1944 zum Tode.

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Werner Seelenbinder, aufrechter Antifaschist und ruhmreicher Ringer, wurde am 24. Oktober 1944 im Zuchthaus Brandenburg-Görden ermordet. Seinen öffentlichkeitswirksamen Protest gegen das Regime verziehen ihm die Nazis nie. 

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Am Tag seiner Hinrichtung schrieb er an seine engsten Vertrauten: „Die Stunde des Abschieds ist nun für mich gekommen. Ich habe in der Zeit meiner Haft wohl alles durchgemacht, was ein Mensch so durchmachen kann. Krankheit und körperliche und seelische Qualen, nichts ist mir erspart geblieben. Ich hätte gerne gemeinsam mit Euch, mit meinen Freunden und Sportkameraden, die Köstlichkeiten und Annehmlichkeiten des Lebens, die ich jetzt doppelt zu schätzen weiß, nach dem Krieg mit Euch erlebt. Es waren schöne Stunden, die ich mit Euch verlebt habe, und ich habe in meiner Haftzeit davon gezehrt und mir diese herrliche Zeit zurück gewünscht. Das Schicksal hat es nun leider nach langer Leidenszeit anders bestimmt. Ich weiß aber, dass ich in den Herzen von Euch und auch bei vielen Sportanhängern einen Platz gefunden habe, den ich immer darin behaupten werde. Dieses Bewusstsein macht mich stolz und stark und wird mich in letzter Stunde nicht schwach sehen.“

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Nicht nur die Art und Weise, was Haltung zu zeigen bedeutet, wird uns an Werner Seelenbinder erinnern. Auch sein Name soll fortbestehen und in unseren Köpfen weiterleben. Umso wichtiger ist es, mit dem Werner-Seelenbinder-Turm einen markanten und imposanten Ort als Anker zu haben, welcher geradlinig gen Himmel geht und genau wie das Stadion selbst an Ort und Stelle verwurzelt ist.

Er lässt sich auch als ein Hinweis an uns verstehen, die Zeichen der Zeit zu deuten und nie unaufmerksam gegenüber der Entwicklung unserer Gesellschaft zu sein, uns immer füreinander einzusetzen und Menschlichkeit zu bewahren. Von dieser Haltung Werner Seelenbinders zeugt der im Jahr 1959 erbaute Turm als ein wahrlich beachtliches Denkmal.

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Lasst uns seinen Namen auch weiterhin in Ehren halten. Sei es durch die Silhouette im Alternativlogo oder das Verteilen unseres Fanzines am Fuße des Turms.

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Auch von Vereinsseite aus scheint man zumindest gewillt zu sein, einen kleinen Teil zur Erinnerungskultur beizutragen, weshalb vor dem Heimspiel gegen Hoffenheim am 7. Dezember 2019 die vor rund zehn Jahren wiederentdeckte Gedenktafel für Werner Seelenbinder restauriert, an alter Stelle angebracht und feierlich eingeweiht wurde.

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Seit 2008 ist Seelenbinder außerdem ein fester Bestandteil der Hall of Fame des deutschen Sports – mit Sicherheit auch für seine Verdienste außerhalb des sportlichen Feldes.

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Weitere Infos zum Zentralstadion gibt's hier

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Weitere Infos zum Fanzine »Der Seelenbinder« gibt's hier

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Weitere Infos zum Werner-Seelenbinder-Turm gibt's hier

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